Der Gastbeitrag von Autorin Melanie Vogltanz, die uns in die dunkleren Ecken ihres beruflichen Nähkästchens schauen lässt.
"Das bist nicht du. Das hast du nicht geschrieben."
Um das Jahr 2007 herum schrieb ich eine Menge blutrünstiges Zeug. Anfangs postete ich viel in Schreibforen. Das Schöne daran ist: Niemand weiß dort, wer du bist. Zwar fiel mir das gelegentliche Misgendern mancher User schon damals auf, aber was bedeutet es schon, wenn jemand von dir als »er« spricht, weil er deinen Nutzernamen nicht einordnen kann? Dann kamen meine ersten Veröffentlichungen in Verlagen, und ich wurde zum ersten Mal der Lüge bezichtigt.
Ein Leser hinterließ eine stocksaure Nachricht in meinem Gästebuch. In der Quasi-Öffentlichkeit meiner eigenen Website pinkelte er mir verbal auf den Teppich. Er warf mir vor, ich könne die Geschichte, die er gelesen habe, unmöglich geschrieben haben. Man wisse schließlich, dass Frauen so was Blutiges nicht schreiben. Erst recht keine Mädchen. Die Geschichte sei also entweder nicht von mir, oder ich sei nicht die, für die ich mich ausgebe. Das war der erste Vorwurf dieser Art, aber nicht der letzte. Ich war vierzehn.
Viele Schreibanfängerinnen müssen in frühen Jahren solche Erfahrungen machen: Sie treffen auf Leute, die sie nicht ernst nehmen, weil sie zu jung sind – und zu weiblich. Eher früher als später kommen die Zweifel. Soll ich ein anderes Genre bedienen? Mich hinter einem Pseudonym verstecken?
Ich denke, dieses Meißeln an der eigenen Identität hört niemals ganz auf. Was man dagegen tun kann? Weitermachen. Erwartungen durchbrechen, immer wieder. Es ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden, und es wird noch besser werden. Wir müssen die steten Tropfen sein, unter denen Stalagmiten emporwachsen.
Melanie Vogltanz