Da das Thema gerade so heiß diskutiert wird, habe ich die Autorin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Gundula Göbel gebeten, etwas zu diesem Thema zu schreiben:
Das Thema berührt mich sehr! So kompetente und liebevolle Mütter können ihre Mutterrolle nicht annehmen. Viele der Mütter sind in ihrer Mutterrolle unglücklich, stark belastet von der hohen Verantwortung und fühlen sich unfrei. Ich bin nicht verwundert, dass dieses Thema nun Öffentlichkeit braucht. Ich bin Mutter von zwei erwachsenen Kindern von 20 Jahren und 22 Jahren. Die sozialen Netzwerke verfolge ich mit viel Interesse. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob ich heute noch Kinder haben wollte und dieses Glück hätte so genießen können wie ich es getan habe.
Der enorme Druck besonders für Mütter ist fast nicht auszuhalten. Unsere Gesellschaft macht die Urgefühle für Kinder und das Mutter-/Familien-sein fast kaputt. Wenn eine Mutter sich entscheidet, für das Kind zu Hause zu bleiben, ist sie eine komische Hausfrau oder Herdprämienmutter, wenn sie das Kind in die Krippe bringt, vernachlässigt sie ihr Kind. Egal wie sich eine Mutter entscheidet, alle urteilen darüber. Da verliert man wirklich die Lust an der Mutterrolle. Es beginnt schon viel früher: Ich muss das Kind im Tragetuch tragen! Wenn ich mich für den Kinderwagen entscheide, ist das Geschrei bei Facebook groß: „ Kinder mit guter Bindung müssen im Tragetuch groß werden“, „Das Familienbett ist das Beste für alle Babys und Kinder - sonst vereinsamt das Kind in seiner Wiege.“
Wer fragt, ob es für diese Eltern passt oder ob sie sich zu eingeengt und überfordert fühlen durch zu viel Nähe des Kindes? Ständig wird verurteilt, aber wo ist das Bauchgefühl der Mütter geblieben? Warum erlauben sich Foren und soziale Netzwerke, Eltern und besonders die Mütter so zu verurteilen? Den Job, indem ich alles falsch mache obwohl ich mein Kind liebe, würde ich auch kündigen wollen. Warum unterstützen wir nicht lieber Mütter, die Freiraum benötigen oder ambivalent zu ihrer Mutterrolle stehen? Ich lese auch zu diesem Thema gerade in den Medien zu viel bewertendes, ob Mütter diese Gefühle haben dürfen. Jeder darf seine Gefühle haben und wir sollten bereit sein, hinzuhören und zu verstehen und nicht zu bewerten.
Die Mutterrolle ist eine undankbare Position, leider wird sie auch von vielen Vätern dazu degradiert. Mütter haben mir erzählt, dass sie in ihrem Beruf viel Anerkennung und viel Wertschätzung ihrer Person erhielten. Seitdem das Baby da ist, haben sie viel Kritik erfahren, die Wäsche ist nicht fertig, das Kind schreit zu viel, sie „trinken den ganzen Tag nur Kaffee“ oder „ruhen sich aus“. Sehr wenig Freunde, Väter oder Eltern erkennen die große Leistung, ein Kind liebevoll zu versorgen und zu begleiten, wirklich an. Das ist sicherlich auch ein Grund, dass so wenige Kinder geboren werden. Wir müssen alle unser Herz öffnen, um das wirkliche Glück als Vater und Mutter zu spüren. Wie ich schon in meiner Broschüre „Emotionale Hungersnot“ beschrieben habe, können wir das emotionale Band zum Kind oftmals nicht spüren, da durch zu viel Bewertung von Außen, Zeitdruck und durch eigene Bindungserfahrungen unser Bauchgefühl verschlossen ist.
Mütter die ihre Mutterrolle nicht annehmen können, sollten diese Rolle überdenken und vielleicht für sich neu definieren und nicht für die Außenwelt. Eine gute Bindung zum Kind ist dennoch möglich. Das Kind benötigt die Verlässlichkeit von Vater und Mutter. Personen außerhalb der Familie, z.B. Paten, Freunde etc. können vielleicht einen Teil der Verantwortung zum Kind mit übernehmen. Mütter sollten sich erlauben, ihre Freiheit zu leben und für eine gute Versorgung des Kindes zu sorgen. Die Väter haben eine große Verantwortung zu tragen und ganz konkret die Vaterrolle auszubauen.
Manchmal ist es für Mütter auch schwierig die Mutterrolle auszufüllen, da sie als Kind selbst zu wenig emotionale Nähe und Versorgung erfahren haben und ihr Bindungsmuster insgesamt unsicher oder ambivalent ist. Bei der Übernahme der Verantwortung für das Kind oder die Verantwortung zum Partner sehen sie sich schnell überfordert und eingeengt. Das gleiche gilt auch für Väter mit einem unsicheren oder ambivalenten Bindungsmuster. Manchmal ist professionelle Hilfe notwendig, um seinen eigenen Lebensweg zu gestalten und seine Mutterrolle neu zu definieren.
Gefühle von „ Ich könnte mein Kind zum Mond schicken“ bis „ Mein Kind ist das Wunderbarste“ gehören dazu. Eltern von kleinen Kindern sollten die sozialen Netzwerke als Ratgeber meiden und ganz ihrem eigenen Bauchgefühl trauen.
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Kruska (Freitag, 17 April 2015 14:18)
Hallo Gundula,
du hast so Recht. Komisch, dass immer alle "Anderen" besser wissen, was RICHTIG und was FALSCH ist, was mir und meinem Kind gut tut oder eben nicht.
Das konsumieren von immer wieder vermeintlich "neue" Erziehungsmethoden oder Tipps, neue Tragetücher, Kinder im Bett der Eltern oder lieber nicht... Stoffwindeln oder doch Pampers... Eltern und vor allem die Mütter werden mit immer wieder verunsichert. Ich hoffe, dass die meisten Eltern nur aus einem Beweggrund handeln, nämlich aus Liebe. Tja und zu lieben, bedeutet eben nicht unbedingt immer alles richtig zu machen. Zum lieben gehören auch Irrtümer oder Missverstände dazu.
Manchmal machen mich meine Kinder wütend, manchmal bin ich aber auch so ergriffen und spüre diese Tiefe Verbundenheit. Zum Elternsein gehören - glaube ich - alle Gefühlsvarianten dazu.
...... und am wichtigsten ist doch auf sein Herz und Bauchgefühl zu hören (wie du so schön beschrieben hast). Und zu versuchen, weniger nach links und rechts zu gucken.